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Situationsbeschreibung

Der CSD Cottbus e.V. beschreibt seit 2008 die Lebenssituationen von LSBTIQ*-Menschen in Brandenburg, Cottbus und den umliegenden Landkreisen. Das Leben von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queers ist vielfältig und stellt sich in der ländlich geprägten Region ganz unterschiedlich dar.

Wir verweisen an dieser Stelle gern auf die Arbeit der Forschungsstelle (sozial)pädagogische und zivilgesellschaftliche Gegenstrategien im Umgang mit Rechtsextremismus der BTU Cottbus-Senftenberg | Cottbuser Texte. Heft 1 und 2.

Heft 1: Homo-, Trans*- und Queerfeindlichkeit in Cottbus

Heft 2: Erfahrungen von Ableism in Cottbus

Wie beschreiben wir die Situation? - aus der Praxis

Illustration: Elke R. Steiner - steinercomix.deWir kennen Menschen, die in Lebensumstände hineingeboren wurden, die es ihnen ermöglichten, sich frei zu entwickeln. Uns sind Beispiele bekannt, in denen LSBTIQ*-Personen ihre Privilegien zufällig mit der Geburt geschenkt bekamen. Für einige queere Bürger:innen war das „Coming-Out“ nie ein Thema, weil sie geliebt wurden und sicher aufwachsen konnten oder weil sie am Arbeitsplatz gleichberechtigt und fair behandelt wurden. Angst vor sozialer Ächtung im Zusammenhang mit ihrer sexuellen Orientierung und/oder Identität ist ihnen fremd. Sie entfalten ihr Potential und können frei und offen leben. Diese Menschen leben weitgehend selbstbestimmt.

Nach unserer Wahrnehmung trifft diese Beschreibung auf unter 1% der LSBTIQ*-Personen zu. Im Land Brandenburg leben ca. 125.000 bis 250.000 Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* oder queere Menschen. Das sind 5 bis 10% der in Brandenburg lebenden 2,5 Millionen Menschen.

eine Randbemerkung

Brillen02 webSo viel Zeit muss sein. Klar ist sicherlich: Wir beschreiben die Situation aus unserer erlebten Praxis-Perspektive. Wir beschäftigen uns tagtäglich mit queeren Themen, sind viel im Austausch und werden kontinuierlich als Ansprechpartner in der Region und darüber hinaus angesprochen. Wir beraten oft schwierige Situationen und erleben gewiss das, was ein Großteil der Bevölkerung nicht auf dem Schirm hat. Insofern ist unser Blick ein Blick durch eine spezifische Brille, die wie ein Brennglas auf Probleme und Problemstellungen fokussiert ist. Darüber hinaus gibt es auch andere Wahrnehmungen. Wenn Du Dich also dabei ertappst: "Das ist aber bei mir anders", dann ist das bei Dir anders. Wir beschreiben aus unserer erlebten Praxis.

 

Ressourcenlage - unzureichend

Das Staatsziel des Landes Brandenburg lautet u.a. in Artikel 12 (Gleichheit) der Landesverfassung: "Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität, seiner sozialen Herkunft oder Stellung, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden."

2Persst1b.pngUm das Staatsziel des Artikel 12 Abs. 2 der Landesverfassung zu erreichen, werden u.a. öffentliche Mittel im Haushalt des Sozialministeriums (Landesaktionsplan Queeres Brandenburg) bereitgesellt. Die Mittel betrugen im Jahr 2021 224.000 Euro. Im September 2021 kritisierten in einem gemeinsamen offenen Brief an die Brandenburger Landesregierung und die demokratischen Fraktionen des Landtages verschiedene Vereine der queeren Communities in Brandenburg die Kürzungspläne der Koalition für das Haushaltsjahr 2022, denn die Mittel sollten um 50% gekürzt werden, um die coronabedingten Ausgaben des Haushaltes anteilig abzufedern.

Redebeitrag (02.11.2021) unseres Vorsitzenden Michael Ziltz zu den Kürzungen:

Die Kürzungspläne wurden zurückgenommen. Demnach standen für in Brandenburg lebende Menschen pro Kopf rund 10 Cent öffentliche Mittel im Jahr 2021 zur Verfügung (224.000 Euro/2,5 Mio. Bürger:innen). Die bereitgestellten Mittel sind unzureichend.

Lebenssituation

Homo- und Trans*feindlichkeit(en) im sozialen Umfeld, der Familie oder im Kontext von Schule, Ausbildung und Arbeit sind leider noch immer Bestandteil der Lebenswirklichkeit von LSBTIQ*-Personen. Die landesweiten Beratungszahlen des Landesverbandes AndersARTiG e.V. und das Beratungsaufkommen im Regenbogenkombinat Cottbus steigen Jahr für Jahr weiter an.

Wir gehen davon aus, dass die Ergebnisse der Online-Befragung zur Lebenssituation von LSBTIQ*-Menschen in Brandenburg aus dem Jahr 2018 nur einen kleinen Teil der Lebensrealität abbildet. Die Erhebung gibt an, dass 48% der befragten 314 in Brandenburg lebenden LSBTIQ*-Menschen negative Erlebnisse / Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität und / oder sexuellen Orientierung in den letzten 5 Jahren erlebt haben.

Illustration: Elke R. Steiner - steinercomix.deNach wie vor erfahren LSBTIQ*-Jugendliche insbesondere an Schulen Diskriminierung, Benachteiligung, Ausgrenzung und Gewalt. In der Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2015 geben 54,8 % der befragten Jugendlichen an, an Bildungsorten wie Schule aufgrund ihrer sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. 12,7% der Befragten wurde Gewalt angedroht und 9,6% haben tatsächlich Gewalt erfahren. Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen gehen leider viel zu wenig auf diese Diskriminierungen ein. Wenn pädagogische Fachkräfte selbst LSBTIQ*-Personen sind, outen sich diese in nur wenigen Fällen aus Angst vor Anfeindungen aus dem Kollegenkreis, aus Furcht vor Reaktionen von Eltern oder Schülern.

Die Situation auf den Straßen und im Internet hat sich auch hinsichtlich der Präsenz extrem rechter Strukturen gewandelt. Vielfach erleben LSBTIQ*-Menschen Alltagsfaschismus, Rassismus, Frauen- und Trans*frauenfeindlichkeit, toxische Männlichkeit, Heterosexismus, Fremdenfeindlichkeit, sowie Antisemitismus durch extrem rechte Personengruppen bzw. Menschen, die sich den rechten Milieus zuordnen lassen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gibt es nicht nur auf den Straßen bei rechten Demos in Cottbus, die u.a. dafür genutzt werden, um gegen gendersensible Sprache und Homosexuelle, sowie Trans*-Menschen zu hetzen. Queere Menschen erleben diese und andere Szenen auch im Fußballstadion, im Betrieb, in öffentlichen Gremien und in der Nachbarschaft. Homofeindliche Sprüche zierten z.B. einen Schulstandort in Spree-Neiße.  Der im Sommer 2023 veröffentlichte Brandbrief zweier Lehrkräfte an der Schule in Burg (Spreewald) hat auf Probleme wie Rechtsextremismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit im Schulalltag deutlich hingewiesen.

KircheRegenbogenfahnen wurden zu den CSD-Aktionswochen abgerissen und in Brand gesteckt. Es gab einen Brandanschlag auf die Kirchengemeinde in Spremberg. Nicht zuletzt beobachten wir, dass rechte Gruppierungen immer wieder Kundgebungen am Tag der CSD Demo in Cottbus veranstalten. Das Klima in der Stadt wird für Queers dann besonders gefährlich.

Diskriminierungsdruck und Auswirkungen

All das wirkt auf LSBTIQ*-Menschen ein und führt zu unterschiedlichen Überlebenstaktiken. Queere Menschen nutzen zwangsweise Strategien, um mit der alltäglichen Diskriminierung oder einer möglichen Diskriminierung umzugehen. Wir erleben Zusehens, dass sich LSBTIQ*-Menschen ins Private zurückziehen, versteckt und mehr und mehr deutlich angepasst nach den heteronormativen Bildern der Mehrheitsgesellschaft leben. Eine offene und selbstverständliche Identitätsentwicklung als LSBTIQ*-Mensch findet nicht oder kaum statt. Normalität bedeutet für viele LSBTIQ*-Menschen möglichst unauffällig sein und die Zuneigung, Liebe oder Leidenschaft grundsätzlich hinter den privaten Türen zu lassen. Es gibt keine queere Kultur und damit einhergehende queere Szenen.

Mitunter werden erlernte und angepasste Kommunikations- und Schutzmaßnahmen derart stark in den Alltag integriert, dass dieses Verhalten nicht mehr kritisch hinterfragt wird und scheinbar eine gewisse Zufriedenheit und Unaufgeregtheit erlangt wird. Kurz gesagt: „Man hat sich eingerichtet und damit abgefunden.“ Wenn queere Menschen die Möglichkeit haben, verlassen sie meist die Region temporär oder gänzlich und ziehen in die Großstädte, wo queeres Leben in größerer Freiheit möglich ist.

Politik- und Verwaltungshandeln sind gefragt

Politik und Verwaltung erleben wir wenig entschlossen, an den seit Jahren bestehenden Problemlagen ernsthaft zu arbeiten. LSBTIQ*-Themen schaffen es aufgrund schwacher Lobby kaum auf die Tagesordnung. Lediglich im Rahmen von CSD-Aktionen erhöhen sich die Kommunikationen. Nach unserer Auffassung sind wir weit weg von Diversity Mainstreaming (Strategien und Konzepte zum Umgang mit und der Anerkennung von Vielfalt). Sätze wie: "Die queeren Themen sind längst angekommen, da braucht es keine Förderung mehr" oder "Jetzt ist mal genug mit den Regenbogenthemen." zeigen uns, wo wir stehen (sollen). 

Fazit

Die Problemlagen sind vielschichtig und die Ressourcen zur Bearbeitung der gesellschaftlichen Situation unzureichend.
LSBTIQ*-Menschen unterdrücken bewusst/unterbewusst strategisch das Bedürfnis nach Freiheit und Entfaltung. Grund dafür sind u.a. bestehende Diskriminierungen und/oder Angst vor Benachteiligung, Ausgrenzung und Gewalt. Das führt zu einem unwürdigen Leben, zu Leid, psychischer Belastung und gesundheitlicher Beeinträchtigung, Kompensation oder zur Selbstaufgabe. Ein Leben in Würde ist schwer möglich.

Das Dilemma führt zu einem unermüdlichen Kampf um Ressourcen, Respekt und Anerkennung. Das ist der Inbegriff des CSDs. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Artikel 1 Grundgesetz) Wir wollen Lebensbedingungen ändern. Mit dieser Maßnahme wollen wir einen Schritt zu mehr Freiheit, mehr Identität, mehr Queergerechtigkeit, mehr Menschlichkeit, mehr Haltung und Demokratie und mehr vielfältiger Liebe machen. Wir machen aufmerksam auf unzureichende öffentliche Mittel und auf Formen struktureller Diskriminierung.